Ausgebeutete Gefühle
Das Bonner Ensemble déjà-vu zeigt „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“


Von Ulrike Strauch


Liebe tut weh. Nicht, dass die ebenso erfolgreiche wie exaltierte Modeschöpferin Petra von Kant (Sabine Quiske) besondere Erfahrung darin hätte. Ihre Beziehungen – so scheint es – sind bislang allesamt an der Oberfläche geblieben. Ihren Assistenten Marlon (Steffen Fischer) behandelt sie wie einen Sklaven und plaudert mit Freundin Sidonie am Telefon über das Ende ihrer Ehe; leichthin, gestelzt, scheinbar abgeklärt. Wie jemand, der schon alles weiß.


Gar nichts weiß sie. Nichts von der Ausbeutbarkeit von Gefühlen, auf die der Erzähler – Verfasser des 1971 uraufgeführten Theaterstücks „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ und Regisseur des Kinofilms aus dem Jahr 1972 – im Prolog verweist. Denn das ist für Rainer Werner Fassbinder das Thema an sich.
Ein ungewöhnlicher Einstieg, den das 2013 in Bonn gegründete Ensemble déjà-vu für seine Adaption des Bühnenstücks gewählt hat. Aber er funktioniert. Der Meister (ebenfalls Steffen Fischer) höchstselbst stimmt das Publikum in der Brotfabrik auf die artifizielle Atmosphäre ein, die Kritiker dem Film vorgehalten haben. Ein mehr als probates Mittel, um die Fallhöhe der Hauptfigur auszuloten.


Dramaturg und Regisseur Achim Haag weiß genau, was er tut. Und der Hauptdarstellerin gelingt es souverän, den von ihm vorgegebenen Tonfall zu halten. Ihr Spiel zwischen Arroganz und Ignoranz, Hingabe und Verzweiflung ist beeindruckend facettenreich. Und lässt Gudrun Haupt als Karin Thimm doch recht gewöhnlich aussehen. Aber das geht schon in Ordnung – so hat Fassbinder die Figur seinerzeit auch angelegt. Karins schulterzuckende Gelassenheit in Gefühlsdingen wird zur Provokation schlechthin. Die Art und Weise, in der sie ihre verliebte Mentorin demütigt, ist nicht mal böse gemeint. Dafür fehlt es ihr an Tiefe – sie ist eben so.


Liebe tut weh. Das hat Petra von Kant nun gelernt. Was sie noch nicht weiß: Manchmal muss es ganz genau so sein. Ihr Versöhnungsangebot an Marlon ist für ihn ein letzter Schlag ins Gesicht. Er hätte alles hingenommen. Aber nicht, dass sie ihren eigenen Wert herabsetzt. Und seinen mit dazu.


Aus: General-Anzeiger, „Feuilleton“, Bonn, 16.2.16